Mit dem Zug durch Europa

Speisewagen auf dem Weg nach PragWie viele andere reisefreudige BVB-Fans fieberte auch unsere Reisegruppe im August mit großer Spannung der Auslosung der Champions League 2019/2020 entgegen. An welche Orte würde uns die Losfee in diesem Jahr schicken? Zagreb, Lyon, Belgrad – oder doch wieder nur Madrid?

Es wurden Prag, Mailand und Barcelona, im Achtelfinale dann noch Paris. Bereits im Dezember 2018 waren wir mit dem Zug zum Spiel in den Stadtstaat Monaco gefahren. Das war sie, die Geburtsstunde der Zugborussen. In Zeiten von Greta spielt auch umweltbewusstes Reisen eine immer größere Rolle. So entsprechen die 3.000 Kilometer Hin- und Rückweg nach Barcelona ungefähr 100 Kilogramm CO2 im Schnellzug, aber bereits über 600 Kilogramm CO2 mit dem Flugzeug. Vor allem ist das Zugfahren aber eine ganz besondere Art des Reisens, auf die wir euch mit unseren Reiseberichten mitnehmen wollen.

Prag

Unsere erste Reise sollte uns Anfang Oktober von Dortmund aus über Berlin in die tschechische Hauptstadt Prag führen. Angesetzt waren für die insgesamt 850 Kilometer gute acht Stunden Fahrtzeit, die wir auch problemlos mit ICE und Eurocity runterspulen konnten. Dabei war allen Beteiligten die Vorfreude auf das Reiseziel und die anstehende Gruppenphase deutlich anzumerken, zumal der Gegner Slavia für die meisten von uns Neuland bedeutete.

Angekommen am frühen Abend, blieb noch genügend Zeit, in das abwechslungsreiche Nachtleben der Stadt an der Moldau einzutauchen, bevor am nächsten Tag der eher touristische Teil und das Spiel folgen sollten. Am Nachmittag unseres dritten Tages ging es dann ganz entspannt zurück auf den wohl schönsten Abschnitt der Strecke, entlang der Elbe in Richtung Dresden. Hier sollte sich auch ein vor der Reise mehrfach gehörter Rat bezahlt machen: ein Besuch des Speisewagens. In gemütlicher Atmosphäre, bei gutbürgerlicher Küche und mehr als dem einen oder anderen Soproni ließ es sich hier wirklich gut aushalten. Mit einem Auswärtssieg in der Tasche erreichten wir dann am späten Abend wieder die Bierhauptstadt. Sicherlich schon mit dem einen oder anderen Gedanken im Hinterkopf, was denn die nächste Tour so bringen würde.

Mailand

Blick auf die Straßen von MailandDas nächste Ziel ließ nicht lange auf sich warten, denn drei Wochen nach unserem Gastspiel in Prag stand die norditalienische Mode-Metropole Mailand auf dem Programm. Die wohl ungewöhnlichste Tour bei unserem Vorhaben, sämtliche internationale Spiele der Saison mit dem Zug anzusteuern. Für die gut 900 Kilometer lange Strecke schlugen auf dem Hinweg dann auch glatte 14 Stunden Anreise zu Buche.

Aber der Reihe nach. Von Dortmund aus ging es mit einer IC Nachtverbindung erst einmal in Richtung Basel. Ab den frühen Morgenstunden sollte dann von dort aus in einem fröhlichen Mix aus InterRegio, S-Bahn und InterCity die Schweiz durchquert werden. Dabei war neben den beeindruckenden Bergpanoramen sicherlich der Abschnitt entlang dem wunderschön gelegenen Luganersee ein Highlight der Strecke. Nach insgesamt fünf Umstiegen konnten wir uns kurz vor dem Ziel sogar noch den Luxus erlauben, einen zusätzlichen, wenn auch unfreiwilligen Zugwechsel einzustreuen. Milano Centrale erreichten wir dann nach einer durchaus kurzweiligen Anreise gegen 12 Uhr Ortszeit. So war auch in Mailand genügend Zeit, sich in der Stadt umzuschauen, den einen oder anderen touristischen Hotspot mitzunehmen oder sich bei bestem Wetter auf das Spiel einzustimmen. Passend zum Ergebnis vom Vortag ging es für uns dann nach zwei Tagen Lombardei bei Nieselregen zurück in Richtung Heimat. Diesmal aber im gefühlten Eiltempo, was sicherlich auch dem sich in den Alpen aufklarenden Wetter und der Auswahl an mitgebrachten Würfelspielen geschuldet war. Mir wird auf jeden Fall eine abwechslungsreiche Fahrt mit einer mehr als fan-freundlichen Preisgestaltung im Gedächtnis bleiben.

Barcelona

Sonnenuntergang am Strand von BarcelonaDie weiteste Reise der Zugborussen ging Ende November nach Barcelona. Die ersten knapp 600 Kilometer der Strecke von Dortmund nach Paris schafft der Thalys in fünfeinhalb Stunden. Weiter geht es dann über 1.000 Kilometer im TGV nach Barcelona – und das in nur sechseinhalb Stunden. Wir hatten uns dazu entschieden, die Fahrt aufzuteilen und eine Nacht bei einer Freundin in Paris zu verbringen, die uns auch die dortige Kneipenkultur näherbrachte.

Am nächsten Tag an den Plätzen im Zug angekommen, war uns schnell klar, dass wir lieber den Panoramablick im Bordbistro genießen als leise an den Plätzen sitzen wollten. Atemberaubend, wie wir die ersten 700 Kilometer bis Montpellier in nur dreieinhalb Stunden dahinflogen. Aber auch für unsere Reisegruppe verging die Zeit wie im Zuge. Mit Würfelbechern ausgestattet, konnte uns einfach nicht langweilig werden. Es war, als hätten wir uns mit Freunden in der Kneipe getroffen, nur dass wir uns dabei noch die wunderbare Landschaft Frankreichs anschauen konnten.

Es ging vorbei an Wiesen und Wäldern und ersten Hügeln, bis wir in den Bergwipfeln tatsächlich den ersten Schnee entdecken konnten. Zum Ende hin wurde die Strecke richtig besonders. Egal zu welcher Seite wir rausschauten: Küste und Wasser. Sogar Flamingos waren zu sehen. Barcelona war dann wie erwartet eine Reise wert. Wer kann schon behaupten, Ende November im T-Shirt am Strand gewesen zu sein? Und auch die typischen Touristen-Highlights schienen zu dieser Jahreszeit weniger überlaufen, wenn auch nicht leer.

Da ich nach dem leider wenig erfolgreichen Spiel noch etwas länger die Tapas in Barcelona genießen wollte, ging es für mich allein im Zug nach Paris. Einfach mal Zeit für sich haben mit einem Buch in der Hand, die Welt am Fenster vorbeiziehen lassen, die Gedanken schweifen lassen, im Hier und Jetzt sein.

Paris

Fußballplatz mit unglaublichem Blick auf den EifelturmDie letzte Tour der Zugborussen ging Mitte März im Achtelfinale zum ehemaligen Dortmunder Trainer nach Paris. Von den Zugfahrten sicher die am wenigsten spannende Tour, da die beiden Metropolstädte durch den Thalys so gut verbunden sind. Das Thema Corona hat auch zu unserer Reise vor drei Wochen schon jedes Gespräch beherrscht, aber doch waren wir noch ziemlich sorgenfrei. Beim Essen der bretonischen Crepes erfuhren wir, dass wegen der Pandemie das Spiel der Borussia zum Geisterspiel erklärt wurde. Unser Fußballspiel bekamen wir trotzdem.

In einem unscheinbaren Sportzentrum ging es, vorbei am skeptischen Pförtner, zu einem Fußballplatz mit unglaublichem Blick auf den Eifelturm. Uns war sofort klar, dass wir nur das Team im gelben Trikot anfeuern konnten. Wie sich später herausstellte, war es die Mannschaft der hiesigen Zahnärzte. Auch wenn die Gelben schnell führten, so war es doch nur ihr Torwart, der sich wirklich auszeichnen konnte. Die Ersatzspieler fungierten als Linienrichter, bei Einwechslungen streiften sie sich einfach das Trikot des Auswechselspielers über. Für Stimmung war reichlich gesorgt, nämlich von den einzigen Zuschauern im Stadion: unserer Reisegruppe von 10 Leuten. So gab es kaum ein Lied, das nicht von uns angestimmt wurde, inklusive obligatorischem Hüpfen zu „Borussia Dortmund international“. Auch wenn unsere Zahnärzte am Ende noch hoch verloren, feierten sie ausgiebig mit uns Fans.

Der Rest der Reise kommt mir nur noch unwirklich vor. Wie kann es sein, dass wir noch vor so kurzer Zeit an den großen Plätzen Paris waren, dass wir abends dicht an dicht die Zeit in Kneipen verbringen und dort mit vielen Pariser Fans die Niederlage der Dortmunder bestaunen, dass wir problemlos für unsere Rückreise in den Zug steigen konnten? Ein Bericht aus einer anderen Zeit, einer fernen Welt.

Auch wenn es in Zeiten von Corona schwierig abzusehen ist, eines ist uns klar: Ob mit oder ohne Borussia, die Zugborussen werden früher oder später wieder auf Schiene sein.

Von Eva-Maria Hüßler und Simon Ballmann

Fotos: Simon Ballmann, Eva-Maria Hüßler, Alexey Novikov und Sven Teschke

Ursprünglich erschienen im Mai 2020 im Sonderheft des bodo Strassenmagazins: 100 SEITEN BORUSSIA | SONDERHEFT ZUGUNSTEN DES STRASSENMAGAZINS