Finger im Po – Torino

Graffiti am Stadio Filadelfia vom FC Turin mit dem Inhalt Juve MerdaIm Achtelfinale der diesjährigen Champions League bescherte uns das Los Juventus Turin. Jenes Juventus, mit dem man sich Mitte der 90er Jahre fast schon reihenweise packende Duelle geliefert hatte und eben jene Mannschaft, über die man 1997 im Champions League Finale in München triumphierte. Da wurden bei vielen sicherlich alte Erinnerungen wach. Wohl auch an das gute alte Fußball-Italien zu jener Zeit, aber dazu später mehr.

Eine Bustour sollte das Mittel der Wahl sein um dem Hinspiel beizuwohnen und so ging es am frühen Montagabend zu zweit von Dortmund auf in Richtung Italien. Und eins kann ich an dieser Stelle schon einmal vorweg nehmen: Das Zeitmanagement der Doppeldeckerbesatzung sollte sich im Laufe der Fahrt mehr und mehr als verbesserungswürdig herausstellen. Die Strecke kann man selbst ohne unerwartete Zwischenfälle in weniger als 18 Stunden packen. Schönen Gruß an dieser Stelle an die Jungs und Mädels von Howitown und die Kamener Jungs, die uns kurz nach der Modemetropole Mailand gut gelaunt eingeholt hatten.

Aber nicht nur die waren anzutreffen, denn wie zu erwarten war, hatten wir schnell einen Haufen motivierter Polizeikräfte an den Hufen, die weit vor Turin erst ein Empfangskomitee stellten, kurze Zeit später die Weiterfahrt mehrerer Busse für beendet erklärten und die Gefährte dann zu einem Konvoi sammelten. Natürlich ohne jegliche Erklärungen, wie das nun genau weiter gehen sollte. Man erbarmte sich aber doch irgendwann, uns geschlossen zum Treffpunkt Parco del Valentino in die Innenstadt zu lotsen. Da wir die Ecke sowieso ansteuern wollten sage ich hier zu der Freiheit entziehenden Maßnahme einfach mal: drauf geschissen.

Eine durch Turin fahrende StraßenbahnTurin selbst hatte nicht nur sportlich, sondern auch touristisch als Reiseziel einige Vorschusslorbeeren geerntet, welche das diesige Wetter am Spieltag allerdings nicht zur Geltung bringen sollten. Die Stadt ließ mit seinen gediegenen Bauwerken, Straßen und Plätzen aber erahnen, dass wir an schönen Tagen hier an einem richtig netten Fleckchen Erde zu sein schienen. Nicht zu vergessen auch die unaufgeregt wirkende heimische Bevölkerung in der alten Königsstadt. Das wusste auf jeden Fall zu gefallen.

Stadio Filadelfia

Und wenn man schon mal da ist, ging als Stadioninteressierter eigentlich kein Weg daran vorbei, die Überreste der im Jahr 1926 eröffneten Spielstätte des FC Turin zu besichtigen: Das Stadio Filadelfia in der gleichnamigen Via Filadelfia, in dem der Stadtrivale von Juventus und eigentlich in Turin stärker verwurzelte Club lange Jahre seine Heimspiele austrug. In den 40er Jahren war dies übrigens die Übermannschaft in Italien, bis ihr der Flugzeugabsturz von Superga ein jähes Ende setzte.

Einem guten Tipp folgend ließen wir uns zur Stärkung bei leckerem Peroni und obligatorischer Pizza direkt am Stadion nieder und kamen so kurze Zeit später in den Genuss, die nebenan befindliche Toro-Bar „Sweet Café“ zu inspizieren. Die vorbei schauenden FC Ultras machten den Laden kurzerhand auf und zeigten uns sichtlich voller Stolz die mit allerhand Vereinsdevotionalien ausgestatteten Räumlichkeiten. Nicht übel, aber es sollte noch besser werden als aus dem Nichts ein älterer Herr auftauchte, der eiskalt einen Schlüssel zückte und uns in perfektem Englisch einlud, mit ihm das verfallene Stadiongelände zu erkunden. Fußballherz, was willst du mehr.

Das Stadio Filadelfia in der gleichnamigen Via FiladelfiaNach längerer Fachsimpelei über Geschichte und Zukunft dieses Stadiondenkmals sollte es dann am Nachmittag in Richtig Stadtzentrum gehen. Genauer gesagt ins „Shamrock Inn“ in der Corso Vittorio Emanuele II. Wie man hörte, hatte die Lokalität schon am Vortag gute Dienste geleistet, am Spieltag selbst herrschte hier bei mildem Wetter auf jeden Fall eine gute Betriebstemperatur. Der eher unkonventionelle Laden wusste auch sofort ob der Getränkepreise (3 x 0,4 Liter frisch Gezapftes für schlanke 10 Taler) zu überzeugen. Der Goldene Oktober Italia wurde mit unserem vorab angereisten Jens verstärkt und nicht zuletzt rundete die Anwesenheit der üblichen Vielfahrer und Extremreisenden diesen launigen Nachmittagssuff ab.

Stadionrealität anno 2015

Um die vermeintlichen Menschenfresser aus der Bierhauptstadt nun koordiniert und geschlossen zum etwas außerhalb liegenden Stadion zu befördern, sollte von Turiner Seite ab ca. 17:30 Uhr ein Shuttle-Bustransfer bereit gestellt werden, wie fast zu erwarten inklusive eines völlig überzogenen Polizeiaufgebots als Begleitschutz. Hier sei nur mal kurz erwähnt, dass bis hier-hin an dem ganzen Tag noch nicht ansatzweise irgendwelche Anzeichen für Theater in der Luft lagen. Mir ist zumindest bis heute nichts Derartiges bekannt.

Um diesen ganzen Murks aus dem Weg zu gehen, entschieden wir uns im kleineren Kreis, noch eine Nachspielzeit in dem Schuppen einzulegen, um dann später mit einer mehr als kurzweiligen Taxifahrt in Richtung Juventus Stadium aufzubrechen. Bene! Auch wenn der Versuch scheiterte, im lokalen Supermarkt noch etwas frischen Biernachschub aufzutreiben - den Italienern erging es hier übrigens ähnlich, denn der Verkauf von Alkohol ist rund ums Stadion wirklich strikt untersagt - sollte die Entscheidung, diese Anfahrt zu wählen, nicht die schlechteste gewesen sein. So konnte noch etwas Zeit genutzt werden, um entspannt den ein oder anderen Plausch mit den heimischen Tifosi zu frönen, ehe es recht spät in Richtung Eingangsprozedere gehen sollte. Vorgewarnt wurde vor diesem vermeintlich eher hässlichen Teil des Ausflugs in die italienische Stadionrealität ja zur Genüge.

Blick auf den Gästeblock im Juventus StadiumUnd in Italien im Jahr 2015 scheinen die Uhren wirklich etwas anders zu ticken. Zumindest war das schon nach den ersten Minuten im Gästezugangsbereich zu spüren und auch zu sehen. Sehr unruhige und martialisch aufgerüstete Staatsbedienstete verbreiteten nicht im Ansatz den Hauch einer Willkommenskultur. Teilweise hatte ich sogar das Gefühl, dass die Herren in Blau sich doch ganz gerne gewemmst hätten. Die Einlasskontrollen hielten dann auch das, was vorher versprochen wurde. Pingelig bis zum geht nicht mehr, mit Ausweisabgleich, Schuhe aus und Fummelei. Zum Glück sah ich wohl nicht nach viel Gewaltpotential aus, denn los geworden bin ich dann lediglich mein Feuerzeug. Bei anderen Leuten sah das, wie man noch im Eingangsbereich hörte, etwas anders aus, denn da landete auch schon einmal ein Handyakku im Müllcontainer.

Juventus Stadium

Nach dieser überflüssigen Schikane galt es, sich nun erstmal ein Bild von dem im Jahr 2011 neu eröffneten Juventus Stadium zu machen. Ja, und was soll ich sagen, ein durchgestylter schnörkelloser Baukörper eben. Und so fühlt es sich auch an: kalt. Da hilft auch die vermeintlich tolle Dachkonstruktion nichts. Wie in italienischen Gästeblöcken bekannt gibt es auch hier leider nur ein mehr als dürftiges Gastronomieangebot. Ausbaufähig würde ich sagen. Einen ganz klaren Vorteil gegenüber dem Stadio delle Alpi mit seinem maroden Charme und den drei steilen Rängen möchte ich hier aber nicht unterschlagen. Die olle Laufbahn aus dem alten Koloss ist Geschichte und die Zuschauer sind in dem neuen Teil richtig nah dran am Geschehen. Das machte sich auch bemerkbar. Wenn die Juve mal laut wurde, dann krachte es aber so richtig. Ansonsten wirkte das Publikum in den angrenzenden Blöcken eher wie vom Typus Kunde. Was allerdings in Anbetracht des Status eines Juventus Turin in Italien, ähnlich wie Bayern München hierzulande, jetzt auch nicht wirklich überraschen sollte.

Choreo im Juventus Stadium in TurinEingeleitet wurde der Kick dann mit einer überschaubaren Choreo über drei Tribünen. Nicht schlecht, aber auch nicht zum hinter dem Ofen hervorlocken. Zum Spiel selbst gibt es an dieser Stelle nichts weiter zu sagen. Wer es nicht selbst gesehen hat, für den gibt es ja auch genügend andere Quellen, die die sportlichen Eindrücke bei-füttern. Vom Verlauf und Ergebnis her würde ich sagen, dass wir kein so schlechtes Ergebnis mit in das Rückspiel nehmen. Da ist auf jeden Fall noch alles drin. Abseits der sportlichen Geschichte war es natürlich klasse, dass wir den Goldenen Oktober Italia im Stadion mit Tomek komplettieren konnten.

Und was bleibt nun übrig von dieser Europapokaltour in den Norden Italiens? Na ja, ein nicht zu erklärendes Auftreten der Polizei gegenüber den eigentlich komplett entspannten Gästen aus Dortmund. Sicherlich war der Auftritt von den Feyenoord-Pissern in der Vorwoche in Rom kein Bewerbungsschreiben für eine friedliche Fankultur, aber den Dortmunder Anhang scheinbar als solch einen Problemfall einzuschätzen, auf diese Fehlleistung muss man erst mal kommen. Mir scheint jedenfalls, dass hier zwischen Fans und Ordnungsmacht längere Zeit grundsätzlich einiges schief gelaufen ist und auch dementsprechende Spuren hinterlassen hat. Entspannt ist jedenfalls anders.

Von Simon Ballmann - Goldener Oktober Italia