Auf in die Modestadt im Berlusconi-Land
Eigentlich sollte und wollte ja Harry den Bericht schreiben, also hatte ich schon meinen Gedächtnis-Speicher weitgehend gelöscht. Hier also die übrig gebliebenen Erinnerungsfragmente ohne Gewähr.
Anreise über Bergamo
Aufbruch in Köln am Montag den 17.03.2003 gegen 5.00 Uhr. Nach zünftigem Geburtstags-Umtrunk und 4 Stunden Schlaf folgte ich (mit Christoph und Stefan) Tomeks Rücklichtern (on board: Andi und Harry) im Tiefflug nach Haan, wo wir - entgegen jeder Tradition bei internationale Auswärtsfahrten - den Flieger überpünktlich und völlig stressfrei erreichten. Kurz hinter dem Alpenrand durften wir die Maschine auch schon wieder verlassen, was Andi gleich zu seinem ersten Versuch nutzte, sich von der Truppe abzusetzen.
Der freundliche Busfahrer in Bergamo identifizierte mich direkt als offensichtlichen Leiter der Reisegruppe, begrüßte mich mit Namen und händigte mir meine Eurocard aus, die mir seine Kollegin beim bezahlen der Busfahrkarten zu stehlen versucht hatte. Derweil Tomek (ihr erinnert Euch: Handy-Diebstahl in Bernabeu) erfolglos nach seinen Gehirnzellen mit der neuen Geheimnummer seines abgeschalteten Mediums fahndete. Bruder Dirk, der direkt beauftragt wurde seinen Schreibtisch nach dem Code zu durchwühlen, hatte allerdings am Vorabend den Ersatzschlüssel der Wohnung Übernachtungsgast Harry ausgehändigt. Onkel Tom also zur Belustigung unserer Crew wieder mal ohne sein liebstes Spielzeug und von Heimat und Außenwelt hoffnungslos abgeschnitten.
Der Flüssigkeitshaushalt
Inzwischen waren wir am Hotel in Bahnhofsnähe angelangt und schlugen den Weg stadteinwärts ein. Eine Tratorria am Innenstadtrand versorgte uns mit Pasta und teurem Spaten-Bier. Aufgrund der angenehmen Wetterlage beschlossen wir, die Stadtbesichtigung auf später zu verschieben, um während des Nachmittags in der benachbarten Grünanlage gemütlich zu relaxen. Schnell war ein Kiosk unseres Vertrauens zur Regulierung des Flüssigkeitshaushalts gefunden. Durch das Bild liefen viele hübsche Studentinnen, und die gut gelüfteten Toilettenanlagen bestachen durch ihre sichtgeschützte Lage mitten im Grünen.
Am frühen Abend folgte ein Orientierungslauf durchs Kanalviertel. Das Wasser war knapp, und am Ziel des Geländespiels (direkt am Ausgangspunkt) gab´s englisches Bier und amerikanische Pizza. Ein paar Eimerchen später hatte nun auch das Mailänder Nachtleben begonnen. In einer schmucken Cocktail-Bar wurden wir zunächst grundlos ignoriert, was Andi verständlicherweise mit einer Guinness-Überschwemmung abstrafte, worauf wir sofort die volle Aufmerksamkeit des Reinigungspersonals inne hatten. Nachdem wir Andi trocken gelegt und umgezogen hatten, klappte es nun auch anstandslos mit dem Getränke-Service. Da wir uns im weiteren Verlauf sichtlich bemühten, möglichst geringe Mengen Cocktails, Whiskys und Bier zu verschütten, verließen wir die Bar zu nächtlicher Stunde bestens gelaunt als Freunde für's Leben. Auf dem Nachhauseweg erfreuten wir uns immer wieder am üppigen Pflanzendeko der Mailänder Bürgersteige. Christoph verprügelte im U-Bahn-Schacht für zwei Euro einen Süßigkeiten-Automaten und wenig später träumten wir glücklich und zufrieden vom Viertelfinale.
Der Spieltag
Dienstag, der 18.03.2003 und somit der Spieltag: Über Nacht waren auf mysteriöse Weise einige Moretti-Bierchen aus Christophs Kühlschrank verschwunden, und um weitere unerklärbare Verluste vorzubeugen, vernichteten wir die Vorrats-Reste zügig zur Mittagszeit in unserem Lieblingspark. Gerüchteweise sollte der Innenstadt-Bereich zur alkoholfreien Zone erklärt worden sein und diesem war jetzt auf den Grund zu gehen. Wir begaben uns also nun in das im Reiseführer abgebildete Mailand und gesellten uns zur Zielgruppe auf den Stufen vor dem schon prophetisch in Trauer verhüllten Dom. Andi erklärte sich spontan zur Beschaffung bereit, nutzte die Gelegenheit jedoch zum Fluchtversuch, so dass auch Tomek und Harry einiges später vereint auszogen. Die viel umjubelte und schwer bepackte Rückkehr der Versorgungseinheiten erfolgte quasi gleichzeitig und löste entsprechende Verbrüderungsszenen aus, wie hatten wir die Jungs vermisst! Für zusätzliche Stimmung sorgte dann kurzzeitig die heimische Carabinieri: Nachdem einige unserer alkoholisiertesten Fanfreunde mit atemberaubendem Ballzauber (und unter lebensgefährlichem Einsatz von Halblitergewichten zur Ausbalancierung) die Mailänder Damenwelt beeindruckt hatten, untersagten die neidischen Spielverderber sämtliche Jonglierkünste auf dem Dom-Platz und machte sich ans hoffnungslose Einsammeln der Spielgeräte.
San Siro
Mit U-Bahn und Pendelbus auf Stadionsichtweite angelangt, stürmte Tomek wie ein Blöder auf den ersten Fanartikel-Stand zu und erfüllte sich seinen Kindheitstraum einer eigenen schwatzgelben Fahne (inzwischen von Mama Reske zum Doppelhalter umgenäht, bitte bei nächster Gelegenheit gebührend bewundern). Am Würstchenwagen gab es dann komischerweise wieder - offiziell alkoholfreies - Bier, bevor wir uns zu unserem Treffpunkt im Eingangsbereich begaben. Hier sollten einige „Schweizer Freunde“ unseres blau-weißen Fanclub-Kollegen von Harry Karten in Empfang nehmen, und diese Super-Birnen waren nicht in der Lage, sich vernünftig mit uns in Verbindung zu setzen. Besser, wir hätten die Tickets für teuer Geld am Dom vertickt! Zwischenzeitlich hielten wir Andi mit Mühe zurück, an einen bemannten Bullen-Jeep zu pullern und zehn Minuten vor Anpfiff enterte schon mal eine Vorhut das Stadion, wo Harry dann wenigstens mit Anpfiff und einigen schwitzerdeutschen Flüchen eintraf.
Das Spiel
Um es kurz zu machen: Stimmung und Sicht im Innenraum der Stadionfestung waren allein schon die Reise wert, der BVB zeigte zunächst, dass er auch in der CL richtig schlecht spielen kann, aber wie erwartet brachte Koller uns doch noch in Führung. Fünf Minuten vor Schluss explodierte dann unser Block, Moskau hatte den Ausgleich gemacht! Tumulte auf der Trainer-Bank und mit Schlusspfiff lief Kehl jubelnd auf Metze zu, um bei der Umarmung an ihm abzuprallen und wie tot liegen zu bleiben. Den Rest kennt ihr und nur Daueroptimisten wie wir hatten fest mit einem Weiterkommen gerechnet.
Nachdem wir Andi nach seinen Gedenkminuten wieder eingesammelt hatten, suchten wir zur Belohnung unseres Supports die stadtbekannte „Pizza Big“ auf, und aus den über 70 Pizzasorten entschied ich mit spontan ohne großes Nachdenken (Hunger!) für die „Pizza Gazz“ mit Gorgonzola, Pepe und Melle. Ich so beiläufig in die Runde: „Weiß jemand, was Melle ist?“ Tom: „Hennings Perle!“ Ich: „Quatsch, ich meine hier den Pizzabelag, italienisch.“ Andi (italienisch LK, 14 Punkte im Abi): „Honig!“, Ich: „Honig?“, Andi „Honig!“. „Quatsch, kann ja nicht sein, passt nicht zu Gorgonzola!“ Nachdem der Kellner dann zur Belustigung meiner Reisegruppe einen Apfelpfannekuchen vor mir fallen ließ, sah ich mich genötigt, noch eine „Pizza India ohne Obst“ zu ordern.
Nachspielzeit
Der Rest ist schnell erzählt: Erst startete Andi noch mal einen Ausreißversuch per Solo-Sprint an der frischen Luft, um dann völlig erschöpft dem fahneschwenkenden Tomek hinterher zu trotten und im Bahnhofstunnel einzupennen. Der sturztrunkene Stephan quängelte rum, er hätte Durst, und am nächsten Tag erkannte Harry dann tatsächlich die Stadt wieder und zeigte uns mit dem ausgenüchterten Kulturführer Stephan alle wichtigen Sehenswürdigkeiten. Am Flughafen wurde endlich Andis Messerset im Handgepäck entdeckt, das er zur eigenen Überraschung auch erfolgreich mit ins Stadion geschmuggelt hatte. Da Andi jedoch noch nicht auf der Liste der Meistgesuchtesten geführt wird, freuten sich die Sicherheitskräfte, ihn wieder loszuwerden und unserer bewährten Obhut anzuvertrauen. So ging es dann doch noch ohne große personelle Verluste zurück gen Heimat.
Geschrieben von Bernhard